Die naturalistische Rekonstruktion Ötzis, anhand
gerichtsmedizinischer Methoden
Foto:
Thilo Parg
Ötzi - der Mann aus dem Eis:
Die Schlangen vor den Schaltern des Südtiroler Archäologiemuseums können
ziemlich lang werden. Tatsächlich ist es ein ganz bestimmtes Objekt, das massenweise
Besucher ins seit 1998 bestehende Museum lockt: die die perfekt erhaltene
5.300 Jahre alte mumifizierte Leiche
eines Mannes, von Ötzi, die damit älter ist als alle ägyptischen Mumien. Über Jahrtausende
wurde sie vom Gletschereis der Zentralalpen konserviert und kam erst im
Spätsommer 1991 an die Oberfläche, wo sie von Bergwanderern zufällig
entdeckt wurde, noch bevor sie an der Luft austrocknen und sich zersetzen konnte.
Mit der Leiche kamen Kleidungsstücke und Utensilien für die Jagd, das
Feuermachen, die Nahrungszubereitung und anderes ans Tageslicht, alle in
vorzüglichem Erhaltungszustand und jeweils die ältesten, die man jemals
gefunden hat. Die Mumie dieses Mannes um Mitte 40 wurde nach dem Fundort an
der italienisch-österreichischen Grenze in den Ötztaler Alpen bald „Ötzi“
genannt. Innsbruck und
Bozen stritten sich um den endgültigen Verbleib,
Bozen siegte und errichtete das Archäologiemuseum als würdigen Rahmen für
den weltberühmten Fund.
Der „Mann aus dem Eis“ liegt im 1. Stock in einem diskret abgedunkelten Raum
hinter einer Panzerglasplatte. Der klinisch reine Raum wirkt wie ein
Krankenhauszimmer, das allerdings – was der Besucher nicht merkt – auf
Temperatur und Luftfeuchtigkeit eines Gletschers eingestellt ist. Eine
Videodokumentation berichtet über Bergung, Analysen und Konservierung.
Im selben Stockwerk werden die mit der Mumie gefundenen Objekte ausgestellt
und erklärt: Pelzmütze, Leggins, Grasumhang, Fellmantel, Unterwäsche aus
Ziegenleder, Lederschuhe, eine kleine Ledertasche, Feuerschwamm, Messer, 14
Pfeile und ein Beil aus Kupfererz (Ötzi lebte in der Kupferzeit, die
Kupferbearbeitung war gerade erst erfunden worden). Eine ungemein lebendig
wirkende Rekonstruktion des Eismannes zeigt einen kräftigen Mann mittleren Alters, sie ersetzt eine
Rekonstruktion die aufgrund neuester Forschungen verworfen wurde: Im Herbst
2010 wurde der Körper des Eismannes in einer Autopsie wieder einmal
wissenschaftlich untersucht, die Ergebnisse wurden im Sommer 2011 veröffentlicht.
Wie der Mann ums Leben gekommen war, was ihn auf 3.000 m Höhe getrieben
hatte, war lange Zeit unklar und ist auch heute noch nicht restlos geklärt.
Ein Hirte, der den Weg verloren und erschöpft im Schneesturm eingeschlafen
und gestorben war? Ein Händler, ein Schamane, ein Metallsucher? Wie kam er
zu Tode? 2001 klärte sich ein Teil des Rätsels: Eine bis dahin übersehene
Pfeilspitze im
Rücken wurde auf einem Röntgenbild identifiziert. Ötzi war wohl verfolgt und
angeschossen worden, die Verwundung führte Erschöpfung und Tod herbei. Warum er
allerdings angeschossen wurde, wird sich niemals klären lassen.
Im Jahr 2008 wurde 15 Jahre nach der Entdeckung der Mumie von der Wissenschaft wieder eine
neue Todesversion lanciert: Der Pfeil traf mit Sicherheit die Halsschlagader,
Ötzi verblutete innerhalb weniger Minuten. 2010 schließlich entdeckte man
ein Schädeltrauma und konnte aufgrund der Blutleere in den Arterien auf
einen Tod durch Verbluten schließen. Die im Körper verbliebene Pfeilspitze
löste nicht den Tod aus, sondern das Herausdrehen des Pfeilschaftes. Wer
schoss, wer drehte den Pfeil heraus, wer versetzte dem Eismann durch einen
oder mehrere Schläge das Schädeltrauma? Der 2010 bestimmte Mageninhalt
zeigt, dass Ötzi wenige Stunden vor dem Tod noch in aller Ruhe Fleisch,
Getreide und Gemüse gegessen hat. War er sich keiner Gefahr bewusst? Wir
wissen nicht, wie der Eismann zu Tode kam und werden es nie wissen. Das wird
wohl eines der wenigen Geheimnisse bleiben, die der bestuntersuchte Mensch
aller Zeiten für sich behält.
Das Museum wurde zwar für Ötzi geschaffen, es gibt aber darüber hinaus einen kompletten Abriss der
Vor- und
Frühgeschichte
Südtirols vom Ende der Eiszeiten (etwa 12.000 v. Chr.) bis zu Karl dem
Großen um 800. Und das auf sehr anschauliche Weise mit vielen Modellen,
relativ wenigen und gut erklärten, anschaulichen Objekten, präsentiert nach
modernsten museumsdidaktischen Kriterien.
Das Museum ist übrigens auch ein
Höhepunkt für
Kinder, die nicht nur staunend vor der Ötzi-Mumie stehen und mehr noch vor seiner
lebensgroßen Nachbildung, sondern die fasziniert von Modell zu Modell gehen
und von Videos und Computersimulationen gar nicht mehr wegzubringen sind.
Öffnungszeiten: Di–So 10–18 Uhr
(letzter Einlass 17.30 Uhr), Juli, Aug. und Dez. auch Mo geöffnet