Früher sagte man, dass die Küche von Venetien im Wesentlichen aus vier
Grundnahrungsmitteln bestehe: Reis, Bohnen, Polenta (ein Brei aus Maisgrieß)
und Baccalà (Stockfisch). Eine arme Küche also. In der Tat, Venetien war bis
in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts eines der Armenhäuser Italiens.
Zwischen 1870 und 1970
sahen sich rund 3 Millionen Venetier
gezwungen zu emigrieren, weil die Region, die überwiegend von Landwirtschaft
geprägt war, ihnen keine Zukunft garantieren konnte.
Zuerst
emigrierten sie nach Amerika und
Brasilien, dann
nach Frankreich, Schweiz, Belgien und
Deutschland. Später, von
1950 bis etwa
1970, war der Nordwesten Italiens (Lombardei,
Piemont und Ligurien) aufgrund
der Nachfrage nach Arbeitsplätzen in der dortigen Industrie einer der Hauptziele der
venetischen Auswanderer. Diese so
genannte "innere Emigration" betraf in jenen Jahren etwa
30.000 bis
40.000 Personen pro Jahr.
Seit
1970 etwa hat sich diese Situation grundlegend geändert, nicht nur
was die ehemals "arme Küche" angeht, sondern auch, was die wirtschaftliche
Situation von Venetien betrifft. Heute ist Venetien eine der reichsten
Regionen Italiens, die Arbeitslosigkeit ist niedrig und auch was die "innere
Emigration" betrifft, hat sich die Lage in den letzten Jahrzehnten
radikal verändert: heute sind es die Süditaliener, die in Venetien Arbeit
suchen.
Wie ist es dazu gekommen?
Vorweg ist es wichtig zu wissen, dass Venetien eine sehr
katholische Region ist (auch heute noch
sind die Kirchen oft voll) und dass die Familie schon immer eine zentrale
Rolle spielte, auch im wirtschaftlichen Sektor.
Da die
Eiwohnerzahlen Venetiens, trotz der
starken Emigration, in der Nachkriegszeit weiterhin ständig nach oben
gingen, waren viele Familien, die mit der Landwirtschaft immer weniger
verdienten, gezwungen radikal umzudenken. Zwischen den 1960er- und
1980er-Jahren entstanden in Venetien
zahlreiche kleine
familiengeführte Unternehmen, viele auch in ehemaligen Stallungen
oder Scheunen. Die wichtigsten Branchen waren anfangs
Textil,
Schuhe,
Möbel und
Lebensmittelverarbeitung,
Branchen in denen Venetien auch heute noch stark vertreten ist.
Es
handelte sich um eine Art "
verstreute Industrialisierung“ – im
Gegensatz zur großbetrieblichen Industrie des Nordwestens (z. B. FIAT,
Pirelli). Was zum Erfolg dieses Industriemodells beitrug, waren eine
ausgeprägte Arbeitsethik und unternehmerischer Geist der Veneter (geprägt
auch vom katholischen
Sozialverständnis).
Die Emigranten, sowohl die im Ausland wie die in
den Regionen Nordwest-Italiens, überwiesen einen großen Teil ihres
Einkommens an die zurückgebliebenen Familien und dieses Sparvermögen wurde
meist lokal reinvestiert.
Das „
Wirtschaftswunder“ Italiens
(in den 60er und 70er Jahren) brachte schnelle Veränderungen auch in
Venetien mit sich: durch öffentliche und private Investitionen wurden Straßen und Dienstleistungen deutlich verbessert.
Heute zeichnet sich Venetien durch eine hohe Exportquote aus,
insbesondere nach Deutschland, Österreich und Frankreich. Einige Regionen in Venetien
wurden weltweit bekannt für ihre Spezialisierung:
-
Montebelluna:
Sportschuhe und
Bergschuhe
-
Arzignano:
Lederverarbeitung
-
Bassano del Grappa:
Maschinen und
Möbel
-
Treviso:
Haushaltsgeräte
-
Vicenza:
Gold- und Schmuckverarbeitung
Heute macht die Landwirtschaft, die inzwischen stark mechanisiert und
qualtitativ hochentwickelt ist (Weinanbau!), nur noch weniger als 2% des
Bruttosozialprodukts von Venetien aus. Trotz einiger Großbetriebe besteht
die industrielle Basis immer noch aus kleinen und mittleren Betrieben, was
angesichts der Globalisierung auch zu neuen Problemen führt: die
ausländische Konkurrenz von Großbetrieben hat im internationalen Wettbewerb
oft mehr Chancen sich durchzusetzen.