Der Kirchenstaat
	Papst Julius II (1503-1513), Gemälde von Raffael.
Unter ihm erreichte der Kirchenstaat seine größte Macht und Ausdehnung.
	Quelle:
	
	Wikimedia Commons 
Wie fing alles an?
Reiche Leute besitzen oft ausgedehnte Ländereien. So auch der Bischof von 
Rom, der bis zum 6. Jahrhundert durch Schenkungen und Aufkäufe zu einem der 
größten Landbesitzer Mittelitaliens wurde.
Aber wie wird aus Landbesitz, so groß er auch sein mag, ein Staat? Im 
Mittelalter war das nicht so schwer: es genügten Geld (auch um Söldner 
anzuheuern), gute Beziehungen zu den anderen europäischen Mächten, das 
Gespür dafür, Widersprüche zwischen ihnen geschickt auszunutzen und das 
Talent, eine straffe innere Steuer- und Justizorganisation aufzubauen. Über 
all das verfügten die Päpste in der Zeit zwischen 400 und 800 n.Chr. in 
ausreichendem Maße.
Worüber sie nicht verfügten, war eine juristische Grundlage, die die 
Existenzberechtigung eines neuen Staates glaubwürdig machen konnte. Die gab es 
zwar nicht, wurde aber schnell gefunden. Im Mittelalter war es nämlich 
durchaus üblich, notwendige, aber nicht vorhandene Dokumente einfach zu 
fälschen und so machten es auch die Oberhäupter der Kirche.
Unter Berufung auf eine angebliche Urkunde Kaiser Konstantins aus den Jahren 
315-317 (die allerdings erst im Jahr 800 produziert wurde), die sogenannte
Konstantinische Schenkung, erhoben die Päpste Anspruch auf 
eine unabhängige geistliche und weltliche Landesherrschaft. Obwohl der Text 
dieser "Schenkung" im 15. Jh. durch den deutschen Theologen Nikolaus von 
Kues und den italienischen Humanisten Lorenzo Valla eindeutig als Fälschung 
entlarvt wurde, blieb sie jahrhundertelang Grundlage für den päpstlichen 
Herrschaftsanspruch in Italien.
Der Kirchenstaat auf dem Höhepunkt der Macht:
Unter Papst Julius II (1503-1513, siehe Foto oben) erreichte der 
Kirchenstaat seine größte Macht und Ausdehnung. Die Päpste waren nicht nur 
Oberhaupt der Kirche, sondern auch Territorialherrscher und als solche 
verhielten sie sich genauso wie andere Könige und Kaiser der Zeit: sie 
unterhielten ein Heer, führten Kriege, zogen Steuern ein, intrigierten gegen 
Widersacher und ließen sie, wenn nötig, auch umbringen. Gelegentlich wurden 
sie auch selbst gewaltsam beseitigt. Julius II zum Beispiel, der keinerlei 
Hemmung hatte, seine Gegner mit allen Mitteln aus dem Weg zu räumen, wurde von Martin Luther 
„Blutsäufer“ genannt. 
Die Päpste förderten die Künste und - im Unterschied 
zu anderen aufgeklärteren Herrschern Europas - blockierten die 
Wissenschaften, wo es nur ging. Im Prinzip unterschied sich der Kirchenstaat 
kaum von anderen Territorialstaaten Europas. Die Päpste konnten zwar nicht 
heiraten und keine Dynastien gründen, hatten aber dennoch gelegentlich Söhne 
und Töchter und platzierten diese, wie es in Herrschergeschlechtern üblich 
war, auf einflussreichen Machtposten innerhalb und außerhalb des eigenen 
Staates. Natürlich waren nicht alle Päpste so machtbesessen wie der 
berüchtigte Julius II, aber die machtpolitischen Interessen rangierten bei den 
meisten Päpsten immer vor allen anderen.
Bis zu seinem Ende im Jahr 1870 spielte der Kirchenstaat in den 
politischen, diplomatischen und oft auch in den militärischen Auseinandersetzungen 
in Europa immer eine wesentliche Rolle. 
Die Päpste regierten, theologisch und weltlich, mit absolutistischer Macht 
und der Kirchenstaat diente der politisch-militärischen Absicherung ihrer 
Herrschaft. Alle einflussreichen politisch-administrativen Ämter innerhalb 
des Kirchenstaates waren für Geistliche reserviert und unterstanden direkt 
dem Papst. Dieser wurde (wie auch heute noch) von einem Kardinalskollegium 
gewählt, deshalb war der Kirchenstaat, formal gesehen, eine Wahlmonarchie. 
Die Ausdehnung des Kirchenstaates:
	Die Ausdehnung des Kirchenstaats
im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 
	Auf der Karte oben sieht man die Ausdehnung des Kirchenstaates im 18. und in 
	der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ausgenommen ist allerdings die Zeit 
	zwischen 1809 und 1815, als der Kirchenstaat von 
Napoleon aufgelöst und de facto an Frankreich angegliedert wurde.
	
Die Abkürzungen:
Bol = Bologna, Rav = Ravenna,
Par = Parma, Mo = Modena,
Ur = Urbino, Anc = Ancona,
Spo = Spoleto, Flor = Florenz,
Sie = Siena, Vit = Viterbo,
Sut = Sutri, Pont = Pontecorvo,
Ben = Benevento
Der Kirchenstaat erstreckte sich also ungefähr über die folgenden heutigen 
italienischen Regionen:
Latium (mit Rom), Umbrien, Marken 
und
Emilia-Romagna.
Im 16. und 17. Jh. gehörten auch die Städte Parma und Modena zum Kirchenstaat.
Napoleon und die Folgen:
Während der Herrschaft Napoleons über Europa wurde auch Italien politisch 
tiefgreifend umgestaltet. Der Kirchenstaat verlor zunächst die nördlichen 
Provinzen und wurde dann, im Jahr 1809, von Napoleon völlig aufgelöst. Rom 
wurde ein französisches Departement und die anderen Teile des Kirchenstaates 
wurden einem von Frankreich in Italien neu gegründeten Staat zugeteilt. Der 
Papst, der sich diesen Beschlüssen widersetzte und über jeden, der an ihrer 
Ausführung mitwirken würde, den Bann aussprach, wurde kurzerhand verhaftet und in 
Frankreich interniert.
Erst der Wiener Kongress im Jahre 
	1815, der nach der Niederlage Napoleons 
die alte europäische Staatenordnung zum großen Teil restaurierte, stellte 
auch den Kirchenstaat in seinem alten Umfang wieder her. Aber der "neue" 
Kirchenstaat hatte viel von seiner früheren Stärke und Unabhängigkeit 
verloren. Jetzt war seine Existenz politisch und militärisch mehr als je 
zuvor vom Wohlwollen der anderen europäischen Mächte abhängig. Der 
erstarkenden italienischen Nationalbewegung war er dann nicht mehr gewachsen.
Das Ende des Kirchenstaates:
	Die Einnahme Roms durch die italienischen Truppen (September 1870)
Gemälde von
	Carlo Ademollo 
Im 19. Jahrhundert bestand Italien, abgesehen vom Kirchenstaat, 
noch aus fünf anderen kleinen Staaten, Norditalien stand außerdem zum großen 
Teil unter österreichischer Herrschaft.
Die 
italienische Nationalbewewgung, die vom Königtum Sardinien/Piemont 
ausging und die Mitte des 19. Jahrhunderts immer stärker wurde, schaffte es 
bis zum Jahr 
1870, fast ganz Italien zu vereinen, mit Ausnahme des 
Nordostens, der noch unter österreichischer Herrschaft stand und und des 
Kirchenstaates, der zwar durch den Abfall einiger Regionen schon stark 
zusammengeschrumpft war, aber immer noch Rom und die umgebene Region Latium 
beherrschte. Militärisch war er zwar nicht stark genug, um gegen die Truppen des 
nun fast vereinten Italien standzuhalten, aber solange der Papst sich noch 
unter dem politischen und militärischen Schutz Frankreichs befand, war seine 
	Existenz gesichert. Den italienischen Nationalisten war der Kirchenstaat ein Dorn 
im Auge, sie wollten das vereinigte Italien natürlich von Rom aus regieren - zwischen
	
1860 und 1870 waren zunächst 
Turin und dann Florenz die (provisorischen) Hauptstädte des neuen italienischen Königreichs.
Die Gelegenheit, auch Rom endlich einzunehmen, bot sich 1870, als Frankreich 
durch den Krieg gegen Preußen stark geschwächt war und der Kirchenstaat nur 
noch auf die eigenen Soldaten zählen konnte. Die Eroberung Roms im September 
1870 (siehe das zeitgenössische Gemälde oben) war so der letzte Akt der 
Vereinigung Italiens, die dann durch eine Volksabstimmung im 
ex-Kirchenstaat formell bestätigt wurde. Rom wurde so endlich die 
Hauptstadt des Königreichs Italiens, der Kirchenstaat existierte nicht mehr.
 
Die Vatikanstadt - der Nachfolger des Kirchenstaates:
Der heutige 
Vatikanstadt ist zwar der Nachfolger des Kirchenstaates, hat 
aber dennoch wenig mit seinem mächtigen Vorgänger gemeinsam. Er ist, seit 
den 
Lateranverträgen von 1929, auf das Territorum 
unmittelbar um den Petersdom beschränkt (0,44 km
2 und ca. 700 Einwohner).
 
Siehe auch:
Die Vatikanstadt
Der Petersdom und die Vatikanischen Museen gehören zu den touristischen Hauptattraktionen der Stadt Rom.
 
Die italienische Einheit
Am 17. März 1861 wurde in Turin das "Königreich von Italien" ausgerufen, wie ist es dazu gekommen?
 
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Ihr Kommentar zu dieser Seite
	
Manfred Weiß:
Ihr Bericht ist sehr aufschlussreich.
Meines Wissens ist noch Mussolini zu erwähnen, der dem Vatikan zu alten 
Würden verholfen hat. Was meines Erachtens sehr bedauerlich ist.
(06.06.2018)
Wolfgang Pruscha:
In der Tat, die Lateranverträge, die ich am Ende des Artikels erwähnt habe, 
waren eine Art Geschenk Mussolinis, der damals die Unterstützung 
oder zumindest die wohlwollende Duldung des Mussolini-Regims durch den Papst 
brauchte.
(20.06.2018)
 
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