Nach dem Friedensvertrag von 1866, mit dem Venetien an Italien fiel, wurde
das Trentino-Gebiet des Gardasees – zusammen mit dem Städtchen Grado an der
Adria – zum
„Strand“ des Habsburgerreiches.
Der Gardasee im Trentino vereinte mediterrane Landschaft mit
mitteleuropäischem Komfort und Effizienz. So entstand eine erfolgreiche
Kombination, die selbst jene Gäste überzeugte, die sich nur schwer an die
italienische Küche und Lebensart gewöhnen konnten.
Im Jahr 1888
gründete der österreichische Arzt
Christoph
Hartung von Hartungen in
Riva del Garda
eine innovative Klinik. Es handelte sich um eine der ersten Einrichtungen
dieser Art in Österreich, in der eine ökologische Medizin angewandt wurde –
einschließlich Homöopathie und Psychoanalyse.
Zu den prominenten
Persönlichkeiten Mitteleuropas, die von den Heilmethoden Dr. Hartungens
profitierten, gehörte auch Franz Kafka. Sein Aufenthalt hinterließ
eindrucksvolle Spuren in seinen Erinnerungen an den Gardasee.
Kafkas erste Begegnung mit Riva del
Garda im Jahr 1909 hatte keinen
gesundheitlichen Hintergrund – anders etwa als bei
Heinrich Mann. Kafka
reiste gemeinsam mit den Brüdern Brod,
die den Ort bereits kannten, nach Riva, das wegen der Schönheit seines Sees
und seiner Landschaft ausgewählt worden war.
Während dieses
Aufenthalts lernte Kafka das Sanatorium von Hartungen kennen. Er dürfte
dabei auch einen Eindruck von den dort praktizierten fortschrittlichen
Heilverfahren gewonnen haben, die seinen eigenen Überzeugungen über
natürliche Heilmethoden entsprachen – die einzigen, an die er stets geglaubt
hatte.
In Riva del Garda fand Kafka auch die Liebe: Bei einer
Bootsfahrt verliebte er sich in ein junges Schweizer Mädchen, das ihm ein
unerwartetes Glück bescherte.
Das Sanatorium des Dr. von Hartungen in Riva del Garda,
wo sich auch Franz Kafka aufhielt.
Foto aus dem Jahr 1910:
Autor unbekannt
Doch Kafka erinnerte sich nicht nur wegen dieser Liebe an Riva del Garda.
Die im Sanatorium und besonders in Riva gemachten Erfahrungen hinterließen
Spuren in einem seiner Werke, das mehr als drei Jahre nach seiner zweiten
und letzten Reise nach Riva entstand – zwischen
1916 und 1917: „Der
Jäger Gracchus“, das ausdrücklich in Riva del Garda spielt.
Während dieser Zeit erlebte Kafka in Prag eine dramatische Phase seines
Lebens. In Gedanken kehrte er zurück nach Riva, wo er vier Jahre zuvor in
einer ähnlichen Situation Trost gefunden hatte. Mit dieser Erzählung kehrte
Kafka an einen Ort zurück, der ihm Freude, Hoffnung und auf gewisse Weise
immer wieder positive Erfahrungen geschenkt hatte – fast als wolle er damit
den Kreis einer philosophischen Betrachtung des Lebens schließen.
Diesmal jedoch wurde die wunderbare Landschaft des Gardasees zur Kulisse für
Tod und Verzweiflung. Nicht mehr das leuchtende Grün der Vegetation, das
Blau des Sees oder das Gelb der Zitronen prägen das Bild, sondern der
Gardasee wird zur Metapher der Hoffnungslosigkeit.
Von Riva werden – ohne realistische Beschreibungen – nur der kleine Hafen,
die Uferpromenade, die abfallenden Gassen und die grau-schwarze nackte
Felswand erwähnt.
Text:
Chiara Berto